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Diese Stimme bleibt im Ohr. So, wie sie spricht und voller Energie ganz natürlich durch verschiedenste Idiome wechselt. Und vor allem wie sie singt, wie sie farbenreich und mit souveränem Timbre zwischen Leichtigkeit und unaufgesetzter Schwere wechselt, zwischen Jazz und Latin, zwischen Laut und Flüsterleise. Seit ihrer Ankunft im Jahr 2008 ist Judith Tellado selbstverständlicher Teil der multikulturellen Musikszene auf dem Hamburger Kiez. Kein Wunder, sollte man meinen, bei diesen stimmlichen Voraussetzungen. Aber irgendwie ist es das doch, ein kleines Wunder: „Als ich nach Hamburg kam, wusste ich noch nicht einmal, wie man ein Mikrofon hält“, lacht sie, so mitreißend, dass ihr die schwarzen Locken durchs Gesicht purzeln, „Ich hatte bis dahin einfach noch nie als Sängerin auf einer Bühne gestanden.“

 

„In Puerto Rico singt man gern und viel, fast die ganze Zeit – ohne dabei im eigentlichen Sinne Musiker zu sein“, erzählt Judith Tellado über ihre Heimat. „Musik ist ein Zeitvertreib, aber keine Arbeit, und erst recht kein Beruf. Singen, das gehört einfach zur Kultur, zum Leben.“ Und so gehörte es von kleinauf auch zu ihrem Alltag, etwa die sonntägliche Bolero-Sendung im Radio, vier oder fünf Stunden lang, die die Familie immer gemeinsam verfolgte und mit vollem Stimmeinsatz begleitete. Musik war immer, der Weg zur Musikerin aber war vorerst verbaut: Ihr Elternhaus im ländlichen, nah am Meer gelegenen Örtchen Rio Grande war weit entfernt von der nächsten Musikschule; zu weit, um in den Genuss der erträumten Klavierstunden zu kommen.

Stattdessen begann Judith Tellado zu malen. Anfangs aus Entdeckerfreude und mit von der Mutter stibitzten Farben, die eigentlich zur Dekoration pompöser Hochzeitstorten oder auch zum Glasieren von Töpferarbeiten bestimmt waren. Mit der Zeit wurde daraus ein ernsthaftes, essentielles Ausdrucksmittel: „Malen hat für mich etwas von Gottsein: Etwas zu erschaffen, für alle sichtbar, das bis dahin nur in meinem Kopf existiert hat. Zu sagen, die Malerei sei ein wichtiger Teil von mir, ist eigentlich noch untertrieben: Wenn ich länger nicht male, ist es, als würde mir die Luft zum Atmen fehlen.“

Nach Abschluss der Schule fiel die Wahl nicht schwer: Judith Tellado studierte Kunst. Anschließend, vor allem dem Wunsch der Eltern nach etwas Handfestem geschuldet, hängte sie noch einen Master in Linguistik an. Neben ihren zwei Universitätsabschlüssen brachte die Studentenzeit aber vor allem eines mit sich: radikal veränderte Lebensumstände. Der Umzug in die Hauptstadt San Juan war gleichbedeutend mit dem Eintauchen in eine neue, urbane Welt – und zugleich in eine neue Musik: den Jazz. Auf den ersten Kontakt mit Coltrane und Monk folgten schnell Billie Holiday, Sarah Vaughan und, zwangsläufig, Ella Fitzgerald. „Bei Ella musste ich immer mitsingen – zwar nur für mich allein, aber ich wollte sie unbedingt nachahmen können. Das hat meine Stimme wahrscheinlich ähnlich geprägt wie die Boleros meiner Kindheit. Aber auch Billie Holiday und Louis Armstrong hatten sicher großen Einfluss, zumindest haben sie meine Wahrnehmung von Gesang völlig verändert: Unglaublich, wie viel Emotion, wie viel Persönlichkeit eine Stimme in sich tragen kann, obwohl – oder gerade weil – sie technisch nicht perfekt ist!“

Auf einer Reise nach Kanada, kurz vor Abschluss ihres Studiums, läuft Judith Tellado das Schicksal über den Weg: Der Hamburger Pianist Georg Sheljasov hört sie singen, zufällig, bei einer feuchtfröhlichen Runde in einem von Backpackern besiedelten Hostel. Anschließend stimmt er gemeinsam mit ihr einige Jazz-Standards an, auf dem alten, verstimmten Klavier in der Lobby – und traut seinen Ohren nicht.

Aus der Zufallsbegegnung wird für Judith Tellado eine fixe Idee: 2007 besucht sie Georg Sheljasov in Hamburg, nur ein Jahr später zieht sie selbst dorthin, direkt auf den Kiez. Als Malerin, und vor allem: als Musikerin.

„Es war eine ziemlich spontane Entscheidung, zu Hause haben mich viele für verrückt gehalten, aber es war eine gute Entscheidung. Auch wenn ich viel lernen musste, etwa was es heißt, als Musikerin zu arbeiten, und vor allem: Wie die Deutschen ticken! Nur weil Deutsche sich nicht bewegen, heißt das nicht, dass sie etwas nicht mögen – das muss man erstmal begreifen“, lacht sie, „in Germany everything was so ernst!“

Zwei Alben entstanden seit 2008, „Tiempo de Bolero“ mit Liedgut ihrer karibischen Heimat und „Life In The Sands“, das vorwiegend Jazz- und Latin-Standards enthält. Gewohnte Gefilde, in denen Judith Tellado ihre stimmlichen Qualitäten ausspielen konnte, aber eben zugleich auch Songs aus anderen Zeiten, anderen Welten. Nun folgt der nächste Schritt, es geht um das Jetzt, um das Hier, um die vielen eigenen Geschichten, die musikalisch erzählt werden wollen: „Meine Kunst hat viel mit meiner Identität als Immigrantin zu tun. Dort, wo man aufwächst, ist man von Beginn an ein Teil des Ganzen und so sehr mit der Lebensrealität verschmolzen, dass man vieles nicht sehen kann. Als Immigrant dagegen hat man den absoluten Außenblick auf eine Gesellschaft und versucht, die Menschen zu verstehen, in ihren Gesichtern zu lesen, ihre Geschichten und Gefühle zu ergründen. Das ist anstrengend und schwierig, aber es ist auch sehr interessant. Zu Hause habe ich das nie getan, hier dagegen war ich dazu gezwungen. Man entdeckt so vieles, für das man früher blind gewesen wäre, und all das drückt sich aus in dem, was ich tue. Man sieht es meinen Bildern an, und man hört es in meiner Musik: Ich bin Immigrantin.“

 

UNDER NEON STARS – Ankunft in einer neuen Welt

„Mittlerweile kann ich Musik und Kunst zusammenführen“, sagt Judith Tellado über ihr drittes Album, das erste, das, mit Ausnahme von Monks „Round Midnight“, durchgängig aus eigener Feder stammt. „Ich male meine Songs und Geschichten nun genau so, wie ich auch meine Bilder male.“

Das balladeske, klaviergetragene „Before The Show“ etwa ist ein Selbstportrait – so persönlich und nah, dass sie den Song erst nach nach einigen vergeblichen Anläufen einsingen konnte. Normalerweise aber ist Judith Tellado eher eine Beobachterin der sie umgebenden Lebenswirklichkeit. So ist „Lady Monique“, lässig zwischen Jazz und Chanson swingend, die Geschichte eines Freundes, der zeitweise als Transvestit lebte. In „Sweet Missie“ erzählt sie von einer Sängerin, die in vielen Jahren der Hoffnung auf die eine, große Karriere doch nie über die immer gleichen Songs und die immer gleichen, kleinen Bühnen hinausgekommen ist; und während die Musik spielt, vordergründig elegant, erkennt Sweet Missie in einem schmerzhaften Moment des Erwachens, dass sie die richtigen Zeitpunkte verpasst, die falschen Entscheidungen getroffen hat – und dass verlorene Zeit auf immer und ewig unwiederbringlich ist. Das titelgebende „Under Neon Stars“ unternimmt musikalisch einen kleinen Ausflug ins Singer/Songwriter-Genre, während es inhaltlich das allabendliche Bild der Realität vor Judith Tellados Haustür auf St. Pauli malt: Prostituierte, Partygänger, Künstler und die schönen, bunten Lichter, die „Neon Stars“, die bei Nacht leicht die Geschichten der einzelnen Individuen verwischen und überstrahlen. „Ich kann das alles sehen, beobachten und beschreiben, und es fasziniert mich. Aber bewerten kann ich das Gesehene kaum, und urteilen will ich erst recht nicht – schließlich steckt in jedem von uns ein bisschen vom Anderen – egal ob Prostituierte, Obdachloser, Party-Tourist oder Lady Monique.“

Musikalisch ist „Under Neon Stars“ ein Abbild von Judith Tellados persönlicher Geschichte: Karibische und lateinamerikanische Rhythmen treffen auf gediegenen, angenehm zurückgenommenen Jazz, der sich nicht zu schade ist für emotionale Pop-Momente und kleine elektronische Sprengsel. Die meist akustisch gehaltene Instrumentierung aus Rhythmusgruppe und Bläsern orientiert sich immer äußerst behutsam am Grundgefühl der einzelnen Songs. Und so intim, wie „Under Neon Stars“ klingt, wurde es auch eingespielt: Im eigenen Wohnzimmer, mit Freunden, Bekannten und Judith Tellados Partner Georg Sheljasov als Pianist, Gitarrist, Bassist und Engineer in Personalunion. Getragen und verbunden werden die Geschichten schließlich von Judith Tellados Stimme, in der jederzeit und unverkennbar ihre lateinamerikanische Seele und Herkunft klingt. Und das ganz unabhängig von der gerade verwendeten Sprache, die nicht nur innerhalb des Albums oder eines Songs wechselt, sondern auch wortweise innerhalb einzelner Sätze – ganz so, wie sie auch spricht.

„Under Neon Stars“ markiert für Judith Tellado eine Ankunft – den Abschluss eines alten Weges, und zugleich den Beginn eines neuen. Wo dieser hinführen wird, das lässt sie offen, ganz bewusst: „Musik ist eine wunderbare Möglichkeit, die eigene Kreativität zu entwickeln, aber es gibt noch unendlich viele weitere. Irgendwas muss einem das Leben zahlen, aber ohne Risiko geht es nicht, nicht im Leben, erst recht nicht in der Kunst. Ich will nicht im Tausch für vermeintliche Sicherheiten immer das Gleiche tun müssen – I love people who make their own luck!”

 

Text: Nils Jung (Küstercom)